Paderborn
„Die Spezialisten“ in Paderborn
Auch die Paderborner Premiere ging erfolgreich über die Bühne. Vor jeweils ausverkauftem Haus präsentierten 27 Akteurinnen und Akteure an zwei Abenden das Ergebnis ihrer 3 ½ wöchigen Probenzeit. Zusammengefunden hatte sich eine bunte Gruppe, im Alter von 13 bis 75 Jahren – darunter Frauen der Community Dance Gruppe „Wilder Aufbruch“ sowie TeilnehmerInnen, die z.T. zum ersten Mal auf der Bühne standen. Erfreulicherweise trauten sich auch 3 Männer, das Tanzbein zu schwingen. Für alle war es darüber hinaus in vielerlei Hinsicht sehr bereichernd, dass an diesem Projekt Akteure aus unterschiedlichen Kulturen teilnahmen: aus Mesopotamien, Russland, Indien, Japan und Deutschland.
In Brilon zog sich das Thema Wald wie ein roter Faden durch die Vorstellung. In Paderborn war es das Wasser – nicht verwunderlich, ist doch das Stadtbild geprägt von den über 200 Quellen im Paderquellgebiet. So wurde am Premierenwochenende der Spielort - die gesamte erste Etage des Rathauses - mit wunderbaren Ideen geflutet.
Eine weitere Besonderheit der Inszenierung war das Einbeziehen des jeweiligen Raumes mit seiner speziellen Architektur oder seinem Interieur. In der Szene „Der Wassergarten“ z.B., wurde die klare und strenge Form der Garderobenhalterung, einer Konstruktion aus Edelstahl, zum Teil des Bühnenbildes, ergänzt von am Boden stehenden, unterschiedlich großen Schalen gleichen Materials, die von dort aus in den Raum hinein 'zu wachsen' schienen. Die Darsteller füllten diesen Raum mit sehr ruhigen gleitenden Bewegungen von beeindruckener Präsens. Auf diese Weise schufen sie, unterstützt von einer Videoprojektion mit abstakt anmutenden Wasserbildern, eine gleichermaßen meditativ stille wie spannungsreiche Atmosphäre.
Ähnlich eindrucksvoll ergänzten sich Tanz und Video in der Szene „Fish-Pool“. Auch hier freuen wir uns über die fruchtbare Zusammenarbeit der Choreographin Birgit Aßhoff mit dem Filmer Reinhard Jäger. Wie in Brilon enstanden auch in Paderborn die meisten Videosequenzen an gemeinsamen Drehtagen zusammen mit den Teilnehmern. Das ursprüngliche Vorhaben, ein Unterwasser-Video im Naturbad Atteln zu drehen, musste leider verworfen werden. Statt dessen kam überraschend und gänzlich unbürorkatisch Hilfe von der Betriebsstättenleitung des Rolands(frei-)bads in Paderborn, überraschend, denn die Anfrage lautete auf Dreherlaubnis im Wasser in kompletter Alltagskleidung. Das Ergebnis, die Szene Fish-Pool, goutierten die Zuschauer mit Worten wie „bezaubernd“, „entrückt“, „traumhaft schön“.
Ebenfalls „entrückt“, aber auf ihr ganz eigene Art wirkte die Szene „Nicht ohne meine Handtasche“. Hier kam ein weiteres, im Titel „Die Spezialisten“ verborgenes Anliegen des Projekts zum Vorschein: die Suche nach Speziellem, nach Typischen im Alltag der Darsteller. Mutig und sehr humorvoll, zugleich mit fast burlesker Übertreibung karikieren sechs Frauen weibliche 'Verbundenheit' mit dem Accessoires Handtasche.
Sehr humorvoll kam ebenfalls das Stück „Perfect day“ daher, bei dem zwei junge Darstellerinnen im wahrsten Sinne des Wortes einem Video 'entspringen', einem Video zum lakonischen Song von Lou Reed in ebenso lakonischer Regenwetterstimmung. Auf der Bühne entfalten sie im Handumdrehen eine Persiflage auf amerkanischen 'Glamour- und Glitter'-Tanz.
Weniger glamourös aber mit viel Witz ging es bei „Espelkottes Nachbarn und den lustigen Weibern“ zu – Nachbarschaft in Paderborn?
Zu den Spezialitäten Paderborns zählt natürlich auch das 3-Hasen Fenster, das hier sehr amüsant in Szene gesetzt, bzw. getanzt wurde.
Bei den „Brotgeschichten“, gespielt im Bistro des Rathauses, wurde einmal nicht getanzt, sondern erzählt und darüber hinaus die sinnlichen Eindrücke des Abends für die Zuschauer um den Geschmacks- und Geruchssinn erweitert. Inspiriert von dem „Paderborner Landbrot“ stellten sich die TeilnehmerInnen aus Mesopotamien, Russland und Indien die Frage nach Bräuchen und Spezialitäten rund um das Brot in ihrem Heimatland. Und so kam das Publikum in den Genuss herrlicher Geschichten zu diesem Thema und konnte sogar ganz real vom Brot aus den unterschiedlichen Kulturen kosten.
Fazit: In Paderborn entstand ein eindrucksvolles Gesamtkunstwerk im Zusammenspiel aus Tanz, Video, Musik, Raum und Erzähltem. Erwähnenswert sei an dieser Stelle der Kommentar eines Zuschauers: „Ich muss sagen, ich konnte mir eigentlich gar nicht vorstellen, dass Leute zu so etwas hingehen. Tanz mit Laien, naja, da denkt man schon mal an eine Art 'Hoppsassa mit Anfassen'. Ich gebe zu, dass ich mein (Vor-) Urteil hierüber revidieren muss. Was hier zu sehen war, hat durch hohe Bühnenpräsenz der Darsteller und absolute Professionalität der gesamten Inszenierung überzeugt, zu der die Arbeit der künstlerischen Leitung ebenso zählt wie die Arbeit des gesamten Teams. Auffällig war in diesem Zusammenhang besonders die Lichtgestaltung, die nicht nur die Darsteller wunderbar in Szene setzte sondern auch den Raum gekonnt einbezog und wortwörtlich in neuem Licht erscheinen ließ. Weiter so!“Drei-Städte Projekt (2014)
In den drei nordrhein-westfälischen Städten Arnsberg, Brilon und Paderborn, erarbeitet der Verein - zusammen mit vielen örtlichen Akteuren - Inszenierungen, die im Laufe des Jahres dort öffentlich aufgeführt werden.
'Making of'
Fotos von den Dreharbeiten zu den Videos "Fish-Pool", "Perfect Day" und "Der Wassergarten" sowie von den Proben und Vorbereitungen der Aufführungen in Paderborn.